Sai Gon

Saigon vulgo Ho Chi Minh City

10.11.2023
Backpacking

Wie alle Reisende kommen wir in Saigon im Backpacker-Viertel im Distrikt 1 an, das sich südlich des September 23 Parks ausbreitet. Auch wir werden die Stadt Saigon nennen, da die offizielle Bezeichnung Ho Chi Minh City überhaupt nicht gebräuchlich ist. Wir haben uns bewusst ein Hotel außerhalb des Backpacker-Viertels gesucht, das Thien Thao Hotel liegt im Distrikt 3 und ist davon knapp 2 Kilometer entfernt. Da wir uns in den verkehrsreichen vietnamesischen Städten mittlerweile supergut zurecht finden, gehen wir natürlich zu Fuß.


Nach einem ausgiebigen Frühstück, wo es wie immer ein Omelett aus mindestens 2 Eiern gibt, starten wir in den Tag. Iris überschlägt mal, wie viele Eier wir im Laufe unseres 5-wöchigen Trips wohl zu uns nehmen werden und ob das cholesterintechnisch schon bedenklich wird. Wir kommen aber zu dem Schluss, dass wir das in unserem Alter wohl noch gut vertragen werden. 

Gestärkt gehen wir also zum Distrikt 1 zurück, wo wir auf dem Platz vor dem Ben Thanh Markt unsere Besichtigungstour starten. In der Gegend sind noch viele koloniale Bauten erhalten, die - wie es scheint - auch sehr gut gepflegt werden. Die Oper ist ziemlich schlicht ausgefallen, ganz im Gegensatz zum Anfang des 20. Jahrhundert erbauten Rathaus, wo heute das Volkskomitee Saigons untergebracht ist. Einer der ältesten, erhaltenen Bauten ist die Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Kathedrale Notre Dame, deren Backsteintürme lange die Wahrzeichen der Stadt waren. Heute werden sie von den modernen Wolkenkratzern weit überragt. 

Saigon ist eine viel modernere Stadt als Hanoi. Von da her ist das Streetfood-Angebot nicht ganz so üppig wie im Norden, Essensstände und Straßenrestaurants mit den uns mittlerweile wohlbekannten kleinen Plastikschemeln gehören aber doch unweigerlich zum Stadtbild dazu. Während wir durch die Stadt streifen gönnen wir uns also auch hier hie und da einen Snack. Unter anderem trinken wir in Saigon die bislang beste Kokosnuss unserer Reise, was bei der mörderischen Hitze extrem gut tut. 

Etwas genauer sehen wir uns den Palast der Wiedervereinigung an. Er heißt so, da nach der Kapitulation Südvietnams ab 1975 hier die Gespräche zur Wiedervereinigung des Südens und des Nordens stattfanden. Das in den 60er-Jahren entstandene Gebäude galt zu seiner Zeit als herausragendes Beispiel moderner Architektur und tatsächlich kann man das auch heute noch nachvollziehen. Viele der Räumlichkeiten sind unverändert erhalten geblieben und strahlen den Zeitgeist der 60er sowie viel Vintage-Charme aus. Im Rahmen der Führung, die wir mitmachen, sind viele Räumlichkeiten zugänglich, darunter auch der Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach und die Kommandozentrale im Keller. 

Ein gutes Stück nordöstlich der Innenstadt liegt der Tempel des Jadekaisers, wo wir zu Fuß hingehen. Die Pagode wurde 1909 von einem chinesischen Kaufmann gegründet und ist für ihre reichen Holzschnitzereien bekannt. Obwohl ursprünglich von der kantonesischen Gemeinde benutzt, kommen heute auch viele buddhistische und taoistische Gläubige hierher, um zu beten. In der Haupthalle ist die Statue des Jadekaisers aufgestellt, der mit 2 Helfern entscheidet, wer das höhere Reich betreten darf oder aber zum Gott der Hölle geschickt wird. Kommt uns doch irgendwie bekannt vor. 

Zurück in der Innenstadt drehen wir eine Runde über die wichtigsten Märkte. Der Ben-Thanh-Markt mit seinem Uhrturm wurde 1914 von den Franzosen errichtet und ist der größte Markt der Saigons. Wie man sich denken kann, ist das Warenangebot - sowohl in Bezug auf Nahrungsmittel als auch Alltagsgegenstände - riesig. Sehr interessant ist auch der noch relativ unbekannte Dan-Sinh-Markt, der nur ein paar Straßen entfernt zu finden ist. In den verwinkelten Hallen werden alle nur erdenklichen Kriegsmemorabilia feilgeboten. Unmengen von Gasmasken, Tarnbekleidung, Patronengürtel und "Hundemarken" gibt es hier. Das ist zwar sicher nicht alles original aus dem Vietnamkrieg, aber trotzdem eine kuriose Sache. 

Während unseres Aufenthalts machen wir einen Pflichtausflug zu einer mittlerweile recht bekannten Sehenswürdigkeit außerhalb Saigons. Wir buchen den halbtägigen Trip für ein paar wenige Dollar bei einem der unzähligen Reisebüros im Backpacker-Viertel, dafür werden wir aber nicht vom Hotel abgeholt, sondern müssen diesmal selbst zum Treffpunkt kommen. Es dauert ganz schön lang, bis wir aus der Megacity heraus sind, unser Guide erzählt uns dabei ein wenig wie das Leben für seine (die junge) Generation in Vietnam ist. Er ist dabei ziemlich offen und wir wissen jetzt, dass zumindest manchen Vietnamesen sehr wohl bewusst ist, dass sie in keinem ganz liberalen Staat leben. Das Ziel unserer Reise sind die Tunnel von Cu Chi, die schon 1948, als man die französische Kolonialmacht zu bekämpfen versuchte, entstanden. Als dann die Amerikaner in der Gegend eines ihrer Hauptquartiere einrichteten, wurde die Anlage wieder reaktiviert. Der Feind wusste anfangs nicht einmal, dass sich da Partisanen unter seinen Füßen versteckt hielten. 

Das Gelände des Freilichtmuseums ist dicht mit Dschungel bewachsen und wir nehmen an einem geführten Rundgang Teil. Wir halten an vielen Stationen, an denen beispielsweise Fallensysteme nachgebaut wurden. Außerdem erfahren wir viel über das Entlüftungssystem und die Versorgung der Anlage sowie das Leben in den Tunneln und den zwischen ihnen angeordneten, unterirdischen Räumen. In seiner größten Ausdehnung war das Tunnelsystem mehrere hundert Kilometer lang und reichte teils mehrere Stockwerke bis zu 20 Meter tief in die Erde. Die Widerstandskämpfer waren sehr erfolgreich und die Amerikaner fanden keine Strategie, die Tunnel einzunehmen. Der Vietcong arbeitete sich sogar unter Saigon bis zur amerikanischen Botschaft durch, die er 1968 auch zeitweilig besetzte. Toll, was wir hier an interessanten und teils fast unglaublichen Fakten erfahren. Gewöhnungsbedürftig ist das museumspädagogische Konzept, das hier verfolgt wird. Ohne Berührungsängste können diverse Attraktionen von den Besuchern ausprobiert werden. Wolfgang darf sich, nachdem es unser Führer vorgemacht hat, beispielsweise in einem originalen Foxhole verstecken.

Alle Besucher können danach durch einen extra gesicherten Abschnitt der Tunnel krabbeln. Obwohl dieser auch eigens für die Besucher ein wenig aufgeweitet wurde, ist es da drin sehr beklemmend und natürlich auch heiß. Unvorstellbar unter welchen Bedingungen die Partisanen hier gelebt haben.  

Das absolut Irrste kommt dann am Ende unseres Rundgangs. Auf einem Schießstand kann man gegen eine kleine Gebühr einige Waffen abfeuern, deren Typ während des Vietnamkriegs im Einsatz war. "One shot, one dollar", lautet hier die Devise. Für Iris kommt das überhaupt nicht in Frage, aber Wolfgang - zu Hause überzeugter Kriegsdienstverweigerer & Zivildiener - entscheidet sich rasch für eine AK 47, besser bekannt als Kalaschnikow. Wie einige andere Besuchern auch, befördert Wolfgang also 10 Schüsse in eine gigantische Erdgrube. Dass man hier ohne viel Aufhebens Zivilisten einfach scharfe Waffen in die Hand gibt, hat uns zum Glück erst nachdenklich gemacht, nachdem wir das Gelände verlassen haben. 

Da wir nach dem Ausflug nach Cu Chi die Möglichkeit haben, beim Kriegs(verbrecher)museum abgesetzt zu werden, entschließen wir uns, dieses auch zu besuchen. Im Hof sind verschiedene Kriegsgeräte der Amerikaner, vor allem Panzer und Flugzeuge, ausgestellt. Das Gebäude selbst enthält viele Einzelausstellungen, die sich mit unterschiedlichsten Themen nicht nur in Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg auseinandersetzen. Auch die Zeit der französischen Kolonialherrschaft und des chinesisch-vietnamesischen Kriegs 1979 finden hier Raum. Im Gegensatz zu den uns bekannten Museen, die sich mit dem bereits länger zurückliegenden 2. Weltkrieg auseinandersetzen, gibt es hier eine riesige Zahl von Fotografien und Videos, die die Grausamkeit und den Schrecken des Vietnamkriegs anschaulich und ungeschönt bezeugen. Besonders bedrückend ist jener Teil der Ausstellung, der die verheerenden Auswirkungen chemischer Waffen, wie Agent Orange, behandelt. Die dadurch hervorgerufen Missbildungen sind unbeschreiblich grausig und werden auch anhand von konservierten menschlichen Exponaten belegt. Der Besucht macht uns doch ziemlich nachdenklich und zeigt uns, wie wenig präsent dieser Krieg in Europa ist, obwohl er doch vor lediglich 40 Jahren stattfand. Der Besuch im Kriegsmuseum ist natürlich bedrückend, stellt allerdings eine wichtige Ergänzung zum Besuch Cu Chis dar und gehört unserer Ansicht nach zu einer Vietnamreise dazu. Das ist man der Geschichte sozusagen schuldig. 

Da wir noch ein wenig Zeit in Saigon verbringen, geht sich auch ein Besuch des Stadtteils Cholon aus, der als größte Chinatown Vietnams gilt. Dort befindet sich die Anfang des 19. Jahrhunderts von der kantonesichen Gemeinde gegründet Thien-Hau-Pagode, die der Patronin der Fischer und Seeleute geweiht ist. Besonders schön sind die glasierten Keramikfiguren um den offenen Innenhof, die ganze Geschichten erzählen. Der Ofen dient der Verbrennung von symbolischem Papiergeld, mit dem man die Angehörigen im Jenseits unterstützt. Besonders viel Stimmung erzeugen die Unmengen und für chinesische Pagoden typischen Räucherspiralen, deren Rauchschwaden durch den Tempel wabern und alles in einen betörenden Duft hüllen. 

In den Straßen Cholons werden viele traditionell chinesische Produkte wie Kräuter und diverse Heilmittel chinesischer Medizin verkauft. Überall finden sich aber auch frische, tropische Früchte, von denen besonders die Durian interessant erscheint. Die auch als "Stink- oder Kotzfrucht" bekannte Frucht ist riesig groß, von buttriger Konsistenz und trifft auf keinen Fall unseren Geschmack, auch wenn wir den bestialischen Geruch, den sie mit fortschreitendem Reifegrad entwickelt, noch gar nicht miterlebt haben. Auf Hotelzimmern ist sie streng verboten, beim Frühstück haben wir sie aber schon ein paar Mal probiert. Wir bleiben aber dabei, die Durian ist irgendwie die Kohlsprosse unter den Obstsorten. 

Cholon ist insgesamt ein recht quirliges, aber durchaus sympathisches Viertel. Es macht großen Spaß hier durch die Gassen zu streifen, auch wenn es unglaublich heiß ist. Speaking of hot, es geht noch heißer. Der Stadtteil ist unter anderem bekannt für seine vielen Hotpot-Restaurants. Das chinesische Fondue kommt als Metalltopf mit kochend heißer Brühe auf den Tisch. Dazu gibt es einen Teller mit diversen Zutaten - in unserem Fall hauchdünn geschnittenes Rindfleisch, Garnelen, Pilze und Gemüse, die man selbsttätig in die Brühe legt, dort gart und anschließend verspeist. Uns schmeckt es außerordentlich gut, das sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. 

Das quirlige Stadtviertel und das pulsierende Leben der Stadt haben uns mittlerweile so mitgerissen, dass wir trotz des langen Tags überhaupt nicht müde sind und sogar von Cholon noch zu Fuß bis zu unserem Hotel gehen.